Mittwoch, 21. Juli 2010

Zugreisen





Eine Woche haben wir Kashgar beim Verschwinden zugesehen. Es wurde zur Aufgabe bei wiederholten Spaziergaengen durch die Altstadt jene Haeuserzeilen auszumachen, die am Vortag noch existierten. Bald wird von Kashgar nur noch ein verschwindend kleiner Teil uebrig sein – fuer Seidenstrassentouristen konserviert; die Haeuser beschriftet wie Kaefige im Zoo. Der Rest muss dem modernen chinesischen Grossstadtmuster Platz machen. In Urumqi, wo mittlerweilen 80 % Chinesen leben, ist nichts mehr von der uigurischen Altstadt zu sehen. Und da Chinesen steuerfrei in Kashgar leben koennen, zudem soviele Kinder kriegen koennen, wie sie wollen, wird das in Kashgar wohl ebenfalls bald der Fall sein (momentan ca. 20 % chin.)


   










Das Velo hab ich schweren Herzens nachhause geschickt, um von nun an per Zug weiter zu reisen, wobei Benis Velo eingecheckt werden muss und im Cargowagen mitfaehrt. Nun koennte man denken, dass nach 7000 Velokilometern solch eine Zugfahrt angenehm entspannend sein sollte. Doch schon im ueberfuellten Wartesaal beginnen wir tiefes Mitleid mit allen Nicht-Velo-Reisenden zu verspuehren. Die huehnerfussessenden, spuckenden und schnarchenden Nachbarn im Schlafwagen versichern uns ebenfalls, dass wir eigentlich aufs Velo gehoehren. Die koerperliche Anstrengung wird von der geistigen Ruhe, die man beim Pedalieren geniesst, um ein Weites wettgemacht.









Dennoch – wir geniessen die Zugreise (25 h Kashgar-Urumqi/ 30 h Urumqi-Xian) so gut wir koennen. Lassen China am Fenster wie einen Filmstreifen vorbeiziehen. Waehrend die Landschaften und Kulturen sich fuer Fahrradreisende unmerklich langsam veraendern, werden Zugpassagiere von einer Welt in die naechste geschleudert. So sitzen ploetzlich Chinesen mit Strohhut in den Reisfeldern und die Haeuser in den Bauerndoerfern sehen auf einmal alle aus wie chinesische Restaurants mit geschwungenen Daechern und erhoehten Giebeln. Bilder, die im Korridor vom ethnologischen Institut haengen, direkt vor dem Zugfenster. Und wenn wir schon in der Uni sind: die grosse Geografieexkursion, die anfangs Februar begonnen hat, ist auch jetzt noch nicht zu Ende: so sind wir doch tatsaechlich ueber den Gelben Fluss und dessen fruchtbare Schwemmebene gefahren und befinden uns momentan mitten auf dem chinesischen Loessplateau. Da wirds einem schon fast einbisschen schwindelig – bei soviel Bestaetigung, dass das Erlernte auch tatsaechlich existiert.






Auch kulinarisch erleben wir das ein oder andere Schwindelgefuehl. Beni probiert euphorisch alles, was ihm unter die Augen kommt, von Schlangeneiern ueber suess-zuckrige Fleischroellchen bis zu den verschiedensten Joghurt-Eis-Drinks. So lange man auf das gewuenschte Objekt zeigen kann, ist die Verstaendigung gewaehrleistet. Sobald man aber versucht einen Cay zum Fruehstueck zu bestellen anhand von Trinkbewegungen und sonstiger Gestik, wird einem Essig serviert. Die Sprache fuehlt sich an wie ein dunkles Zugabteil im Tunnel. Oder aehnlich.








Unsere letzte gemeinsame Station ist Beijing, wo wir in ein paar Tagen eintreffen werden. Danach werden wir beide das Reich der Mitte verlassen, Beni Richtung Europa und ich Richtung Russland, wo ich ein paar weitere Tage im Zug verbringen werde.

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